Die Stereophotographie auf der Ausstellung „Die Kamera"

Die in der Zeit vom 4. bis 19. November des Jahres in den Ausstellungshallen am Kaiserdamm in Berlin unter der Schirmherrschaft des Reichspropagandaministers veranstaltete Ausstellung hat bei allen Besuchern durch ihren klaren Aufbau, die Vielseitigkeit des Gebotenen, durch die schlichte aber wirkungsvolle Aufmachung den stärksten Eindruck hinterlassen. Auch die Stereophotographie war in der wissenschaftlichen Abteilung in einer Sonderschau, deren Bearbeitung in Händen der Deutschen Gesellschaft für Stereoskopie e. V. lag, würdig vertreten. Es hat sich erfreulicherweise gezeigt, daß die oft gehörte und selbst von Vertretern des Photohandels und der Industrie geäußerte Meinung, die Stereoskopie sei eine überlebte Sache und fände keinen Anklang bei der Masse, in keiner Weise berechtigt ist. Wie anders wäre es sonst zu erklären, daß gerade der Stand ,;Stereophotographie" gegenüber anderen nicht minder interessanten Schaustellungen bei weitem die größte Besucherzahl aufzuweisen hatte, so groß, daß zeitweise eine Absperrung eintreten mußte. Vor den Serienbetrachtern stauten sich vielfach die Schlangen der Wartenden und geduldig harrte jeder aus, bis er an der Reihe war. Viele sind wiederholt zum Stand gekommen, um sich über alles Sehenswerte zu informieren und die ausgestellten Stereobilder nochmals mit den Blicken zu durchwandern. Viele unter den Tausenden haben überhaupt zum erstenmal ein Stereobild zu sehen bekommen, waren überrascht von der naturgetreuen, körperlichen Wirkung, und waren noch mehr überrascht als sie erfuhren, daß jeder ohne besondere Kunstfertigkeit und teure Apparate selbst sich solche Bilder fertigen kann.

Das gesamte Gebiet der Stereophotographie war vertreten und in anschaulichster Weise aufgemacht. Auf der einen Seite des die Koje durchschneidenden Ganges wurde die Anwendung des Stereoskops in Wissenschaft, Technik, Unterricht und Werbewesen gezeigt: Stereoskopische Zeichnungen aus dem Gebiet der darstellenden Geometrie, Stereo-Anaglyphenzeichnungen von Dr. C. Calov, Berlin, Mikroskopische Aufnahmen von Dozent Schmehlik stellten nur eine kleine Auswahl von den zahlreichen, leider noch immer viel zu wenig in der Unterrichtspraxis eingedrungenen Anwendungsmöglichkeiten des Stereoskops dar. Es gibt wohl kaum ein besseres Mittel, die für alle technischen Berufe so wichtige Raumvorstellung zu entwickeln, als die Anfertigung solcher geometrischer Stereogramme. Die „Eroberung des Weltraumes" durch das Stereoskop war durch die bekannte Aufnahme des Saturn von Prof. Wolf vertreten. Sehr lehrreich waren unter Brückenraumgläsern aufgemachte stereoskopische Aufnahmen eines Fluges über die Alpen. Ferner eine unter einem auf einer Schiene verschiebbaren Stereoskop an der Wand angebrachte Stereobildserie von einem Flug von Wien, die Donau entlang über die Zugspitze nach Nürnberg, beide aufgenommen von der Photogrammetrie G. m. b. H. in München. Von ihr stammte auch das als Anaglyphendruck ausgestellte Hochgebirgspanorama. Die Verwendung des Stereoskops zur Registrierung und Dokumentierung des Fortschreitens von Bauten konnte man in einem Serienbetrachter an von der Emscher-Genossenschaft in Essen angefertigten Stereoaufnahmen teils von der Erde, teils vom Flugzeug aus, studieren. Das stereoskopische Röntgenbild war durch Aufnahmen von Dr. Köhnle, Düsseldorf, vertreten.

Den Werbefachmann interessierten eine ganze Reihe verschiedener für Propagandazwecke gefertigte Betrachter und Bilderpackungen, unter ihnen mehrere vom Luftschiffbau Zeppelin und das neueste ZA (Zeiss-Aerotopograph)-Stereoskop. Sehr eindrucksvoll auch das als Großanaglyphe von der Plastikolor G. m. b. H. in Hamburg hergestellte körperliche Bild einer Druckereimaschine!

Den größten Teil des Standes nahm das Stereobild im Dienste des Liebhaberphotographen ein. Um den Unterschied zwischen Flachbild und Raumbild besonders sinnfällig vorzuführen, war von besonders geeigneten Aufnahmen gleichzeitig eine Vergrößerung des einen Teilbildes ausgehängt. Ausnehmend eindrucksvoll und überzeugend waren die Aufnahmen von Schlumberger, Berlin, darunter der Blick in eine Wendeltreppe von unten. Die meisten Beschauer waren nicht imstande, beim einäugig gesehenen Flachbild eine richtige Deutung des Bildinhaltes abzugeben. Beim Stereobild dagegen gab es keine Zweifel mehr. An die Stelle der mühseligen Raumvorstellung beim Flachbild war die befreiende Raumwahrnehmung im Stereobild getreten, die allgemein Ausrufe der Überraschung auslöste. Von den anderen meist in Serienbetrachtern oder in recht praktischen neuartigen Schiebekasten als Diapositive ausgestellten Stereobildern verdienen als besondere Leistungen die Nachtaufnahmen von Wien von Carl Pollack, die Stimmungsbilder von Hubrich und Schlumberger, die Reise- und Wochenendbilder von Dr. Lüscher, Berlin, sowie die verschiedenen Gebieten entnommenen Arbeiten von Wegener, Frankfurt a. M., Sautter, Ulm, Annemarie Brenzinger, Freiburg, Paul Heeg, Bonn, Behr, Emma Breling, Gamm und Zippert, Berlin, Erwähnung und Anerkennung.

Prof. Dr. Rumm, Künzelsau, zeigte in einem zu Vorführungszwecken selbstgefertigten Apparat Autochromaufnahmen von Schmetterlingen, Käfern und Mineralien. Dr. Spieweck, Berlin, hatte seinen bereits im vergangenen Jahr auf der Verbandsausstellung in Leipzig ausgestellten Schaukasten mit eigenen Aufnahmen aufgebaut. Beachtenswert waren ferner noch der von Wallmann, Berlin, selbstgefertigte Serienbetrachter mit eigenen, recht wirkungsvollen Aufnahmen, sowie ein für Zwecke der Fremdenverkehrswerbung von Max Link, Berlin, konstruierter Automat mit einer Bilderserie von Potsdam, aufgenommen von Dr.-Ing. Lüscher, Berlin.

In drei Glasschränken waren fast sämtliche heute im Handel erhältlichen Stereoaufnahmeapparate, Stereobetrachter und Hilfsgeräte untergebracht. Leider konnte bei der immer noch recht stiefmütterlichen Einstellung der deutschen Photoindustrie gegenüber der Stereoskopie dem Fachmann nicht viel Neues geboten werden. Lediglich die von Emil Hofert herausgebrachte „Eho StereoBox" 6 x 13 für Rollfilm, deren Leistung auch durch eine recht gute Serie von Papierstereobildern (Aufnahmen von Annie Lüscher und Ruth Klein, Berlin) dargetan wurde, erregte bei einer großen Zahl von Besuchern lebhaftes Interesse. Mit dieser billigen „Volksstereokamera" hat sich der Hersteller zweifellos ein großes Verdienst für die allgemeine Einführung des Stereobildes in weitesten Volkskreisen erworben. Eine Stereokamera in mittlerer Preislage insbesondere für Rollfilm fehlt leider immer noch auf dein deutschen Photomarkt, während an teuren und vollendeten Präzisionsapparaten wie Heidoskop von Franke & Heidecke, Stereoreflektoskop von Voigtländer, Polyskop von Zeiss Ikon, Ihagee-Werke, Dresden, Kuehn, Steglitz (Lomaroskop) und anderen eine reiche Auswahl vorgeführt werden konnte. Von neuen Betrachtern verdienen der zur „Eho Box" gehörige Betrachter, sowie das nette ZA-Taschenstereoskop von Zeiss-Aerotopograph, Jena, beide für das Format 6 x 13 und mit Einstellung auf Bildschärfe ausgestattet, besonders hervorgehoben zu werden. Eine interessante nette Spezialkonstruktion für die Werkstatt, insbesondere zur Aufmachung von Fliegerstereobildern geeignet, stellt noch das ebenfalls auf der Ausstellung gezeigte große Brückenraumglas von Stachow & Co., Berlin, dar. Mit der Aufführung der Flugzeug-Stereokammer nach Dr. Lüscher von der Photogrammetrie G. m. b. H. München; des Leicavorsatzes „Stereoly" nebst dazugehörigem Spezialbetrachter, sowie einer recht interessanten selbstgebastelten Stereokamera 6 x 13 im Gewicht von nur 168 gr. von Nebhut, Berlin, sei ohne Anspruch auf Vollständigkeit die Geräteschau beendet.

Es sind bekanntlich in diesem Jahr 100 Jahr der englische Physiker Charles Wheatstone seine erregenden Entdeckungen und Untersuchungen Stereoskop der Öffentlichkeit übergab. Aus diesem Anlaß hatte auch das Bild des hervorragenden Gelehrten und Vaters der Stereoskopie einen besonderen Ehren entsprechendem Hinweis erhalten. Nichts aber konnte das Andenken des großen Mannes besser ehren, als diese Sonderausstellung über Stereophotographie und gemeine Interesse, von dem der außergewöhnlich starke Besuch Zeugnis ablegte. Die Teilnahme an diesem schönsten Zweig der Photographie ist auch in weiteren Kreisen wieder erwacht. Die Stereoskopie marschiert! Lüscher.

Aus DER STEREOSKOPIKER Nr. 12 vom 15. Dez. 1933, Organ der Deutschen Gesellschaft für Stereoskopie e.V.  (© Text überarbeitet von D. Schulte)